Verlorene Kinder: Unterschied zwischen den Versionen
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Wenigstens weinte sie nicht. Oder kotzte. | Wenigstens weinte sie nicht. Oder kotzte. |
Aktuelle Version vom 27. Oktober 2024, 22:50 Uhr
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Wenigstens weinte sie nicht. Oder kotzte.
Trotz ihres Alters wirkte diese sechzehnjährige Borca erstaunlich abgebrüht. Sie verzog keine Miene, als sie den Kopf der im Morast gefundenen Leiche drehte, um einen Blick auf das madenzerfressene Gesicht zu werfen. Fliegen surrten, Asseln krochen verschreckt ins Dickicht, in den eingefallenen Augenhöhlen wanden sich Speckkäferlarven. Keine Reaktion. Lucille war zufrieden mit Magda. Zwar war sie ebenso unerfahren wie die anderen, aber sie hatte Potential. Mut und Idealismus. Als die Kathedrale von Rennes nach Verstärkung aus Domstadt fragte, rechnete man mit kampferprobten Männern und Frauen. Geschickt wurden Jungen und Mädchen, die kaum ihre Waffe vernünftig halten konnten. Das Kalkül war wohl, dass sie hier nach ihrer Ausbildung erste Praxiserfahrungen sammeln könnten. Nicht der richtige Ort. Diese verdammten Domstädter bewiesen einmal mehr, dass sie die Gefahren im Nordwesten Frankas unterschätzten. Oder es war ihnen nicht wichtig. Beides Gedanken, die man nicht laut aussprach. Lucille trat näher und warf ebenfalls einen Blick auf den Toten. Auch wenn die Gesichtszüge madenstichig waren, erkannte man am Nasenring, dass es einer der Ihren war. Ein Wiedertäufer. „Bastien“, meinte Lucille trocken. Wie sie war er mit einem der Neulinge auf Erkundungsmission geschickt worden. Er sollte überprüfen, ob sich das Einflussgebiet der Pheromantin ausbreitete. Das sie ihn hier etwa fünf Kilometer von ihrem Ziggurath entfernt fanden, beantwortete die Frage. „Er … er war doch mit Jakob unterwegs, oder?“ Lucille nickte. Magda wurde nervös. „Was ist passiert?“ Lucille blickte sich um. In einer dreckigen Pfütze ein paar Schritt entfernt fand sie schließlich, was sie erwartet hatte. Ein fingerlanger, sechseckiger Flakon aus blaugefärbtem Glas. Sie hatte sich immer gefragt, warum sie so edle Behältnisse für das Gift brauchten. „Wenn man sich das Leben nimmt, dann wenigstens mit Stil“, hatte Bastien einmal gescherzt. Sie lächelte bitter. Stilvoll wirkte hier nichts. „Was … was heißt das? Was ist mit Jakob? Lebt er noch?“ „Vergiss Jakob. Er ist in den Fängen des Demiurgen. Er zögerte. Jetzt ist er dein Feind!“ „Nein. Nein! Du lügst! Er würde sich nie verführen lassen. Ich weiß es! Ich weiß, dass...“ Eine Ohrfeige brachte Magda zum Schweigen. „Du weißt nichts, Mädchen! Gar nichts!“ Lucille griff grob nach ihrem Arm. Mit der anderen Hand löste sie den Flakon, der griffbereit am Gürtel der jungen Borca angebracht war, und hielt ihr diesen vors Gesicht. „Wenn wir in eine solche Situation kommen, trinkst du das, verstanden? Wenn du merkst, dass du die Kontrolle verlierst. Das sie die Kontrolle über dich gewinnt. Die letzte Entscheidung, die du mit deinem freien Willen triffst, ist deine Seele zu retten und das hier zu trinken! Hast du verstanden?“ Magda nickte. „Wiederhol es!“ „Ich trinke das Gift.“ Das Mädchen hatte Tränen in den Augen, rang um Fassung. Aber weinte nicht. Lucille ließ von ihr ab. Sie atmete durch und brauchte einen Moment, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Eine Weile hörte man nur das Surren der Fliegen. Magda war zu jung und kam nicht von hier. Wie sollte sie es verstehen? Lucille seufzte. „Setz dich. Ich erzähle dir eine Geschichte.“ Lucille deutete auf einen umgestoßenen Baumstamm in der Nähe. Beide setzten sich, blickten sich aber nicht an. „Du hast Claudette kennengelernt.“ „Deine Tochter?“ „Sie ist nicht meine Tochter. Nicht … ursprünglich.“ „Aber...“ „Sie weiß es nicht. Und sie darf es nicht erfahren, hörst du?“ Magda nickte. „Ich … ich war in deinem Alter. Etwas älter. Neunzehn. Ich war … naiv. Naiv und dumm. Jedenfalls wagte ich mich näher an den siebten Ziggurath als jeder andere. Keine Ahnung, ob ich Anderen oder mir selbst dadurch etwas beweisen wollte. Eines Tages sehe ich jedenfalls am Westufer des Weihers beim Ziggurath diese Frau. Sie war abseits des Schwarms, offensichtlich verwirrt, wirkte verloren und orientierungslos. Sie trug ein Bündel bei sich. Ihr Kind, vielleicht sechs oder sieben Monate alt. Ich erkannte sofort, dass die Frau in diesem Moment nicht unter dem Einfluss der Pheromantin stand. Und naiv, wie ich war, dachte ich, ich könnte diese verlorene Seele retten. Also ging ich zu ihr, redete auf sie ein, sie solle mir folgen. Doch sie verstand mich kaum, schien völlig benebelt. Meinte, sie wolle mir folgen, wolle weglaufen, könne es aber nicht. Ich war verärgert. Nervös. Also entschloss ich mich kurzerhand, ihr das Kind wegzunehmen. Von da an folgte sie mir. Langsam. Drehte sich immer wieder um. Meinte, wir müssen umkehren. Ihr und ihrem Kind würde es dort besser gehen. Dort sei alles gut gewesen. Warum ich ihr das Kind wegnehme und warum alles hier so hässlich und kalt sei. Sie wollte zurück, aber sie folgte mir. Schließlich hatte ich ja ihre Tochter. Also eilte ich voran, lief. Ich ignorierte das fürchterlich schreiende Kind in meinen Armen und das Jammern hinter mir. Ich wollte es nicht hören. Viel mehr wollte ich es nicht wahr haben. Dann hörte ich es nicht mehr. Als ich mich umdrehte, sah ich nur noch ihre Silhouette im Nebel verschwinden. Sie war umgekehrt. Ich schrie. Ich weiß noch genau, was: Zweimal 'Ich hab deine Tochter!', viermal 'Wie kannst du das tun?', einmal 'Warum?'. Dann konnte ich nicht mehr. Ich sank auf die Knie, sah auf das kleine Mädchen in meinen Armen und habe geweint.“ Lucille machte eine Pause. Während sie erzählte, starrte Magda unentwegt auf die Überreste des Toten im Morast. „Das war der letzte Tag in meinem Leben, an dem ich geweint habe. Mir wurde bewusst, dass die demiurgische Macht, welche die Pheromanten über diese Menschen haben, stärker war als die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind. An diesem Tag starb etwas in mir.“ Magda saß noch immer still da. Regungslos. In sich gekehrt. Lucille seufzte. „Das hier ist Franka, Mädchen. Hier stirbst du schnell. Oder langsam. Stück für Stück. Ich … ich wünschte, du wärst nicht hier.“ Magda nickte. Sie verstand. Und sie weinte. (Quelle: Altes Degensis-Forum) |