Sternschnuppe

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Die Inhalte im grauen Kasten wurden von Gideon erstellt. Es handelt sich um Fanwork und nicht um offizielle Spielinhalte.

Die Hitze stand in den Straßen, kein Luftzug kühlte die verschwitzten Gesichter. Außer zwei kleinen Wolkenfetzen in der Ferne gab es nichts, was die Sonne in ihrer gleißenden Herrlichkeit hätte behelligen können. Nichts und niemand machte ihr am strahlend blauen Himmel ihren Platz streitig. Die Menschen hatten sich unter Vordächer, Markisen oder direkt ins Innere der Häuser zurückgezogen. Niemand hier konnte sich an einen derartig heißen Tag im Oktober erinnern. Was das wohl für den Winter bedeutete? Doch während die Meisten unter den hohen Temperaturen ächzten und sich gegenüber der strahlenden Scheibe am Himmel geschlagen gaben, die dermaßen auf die Straßen herunter brannte, als ob sie die gesamte Gegend von der Landkarte tilgen wollte, zeigten sich einige tapfer.

Hastige Schritte hallten vor der Metallverkleidung einer Schrotterbehausung wider, während Celine den schmalen Pfad entlang rannte, der sich zwischen der Schrotterbehausung und der umgestürzten Hauswand auftat. Kurz vor dem Ende des Pfades, an der Stelle, an der er auf die gewöhnliche Handelsstraße hinaus führte, bremste das Mädchen ab und bewegte sich die letzten paar Schritte leise vorwärts. Sie setzte einen Fuß vorsichtig vor den Anderen, genauso, wie ihr Bruder Armand es ihr beigebracht hatte. Ein Fuß am Boden, den Blick abwechselnd zwischen Umgebung und Boden hin und her huschen lassend. Ihr Atem ging schnell, das Rennen während der Hitze setzte ihr zu, aber aufgeben wollte sie nicht. Behutsam lugte sie um die Ecke. Erst nach links, dann nach rechts. Alles ausgestorben. Ein fetter, haariger Fuß ragte etwa dreißig Schritt entfernt nach links unter einer Markise hervor. Ein breites Grinsen huschte über ihr Gesicht. Da saß er! Mitten auf der Steintreppe zu Larons Ersatzteillager zu ihrer Rechten! Celine vergewisserte sich, dass man sie noch nicht bemerkt hatte, blickte noch einmal prüfend nach links und rechts und hastete dann auf Zehenspitzen über die Straße. Auf der anderen Seite angekommen reichte ihr ein kurzer Satz, um hinter einer der vielen, aufeinander gestapelten, Holzkisten in Deckung zu gehen. Der kleine Fleck Schatten hinter den Kisten fühlte sich wohlig an, wie ein Nest, in dem sie sich niederlassen sollte, sich ausruhen könnte und der Hitze für einige kostbare Momente zu entfliehen im Stande wäre, aber Celine schüttelte das Gefühl ab, während ein Ausdruck äußerster Anspannung auf ihr Gesicht trat. Nicht jetzt. Sie war auf der Jagd und ihr Ziel nur noch einige Schritt weit von ihr entfernt. Dann, ganz vorsichtig und leise, glitt sie in die Hocke und schlich lautlos wie eine Katze an der Wand entlang auf die Treppe zu. Noch immer hatte man sie nicht bemerkt. Fünf Schritt noch. Celine wurde langsamer, noch vorsichtiger, bemühte sich, noch leiser zu sein. Ihre Bewegungen waren zähflüssig wie Honig, als sie über den Eimer mit verbogenen, rostigen Nägeln stieg. Noch zwei Schritt. Das dunkle Haar klebte ihr an der schweißnassen Stirn. Sie hielt den Atem an, spürte die Anspannung in ihrer Brust. Ein Schritt noch. So nah. Mit einem Triumphschrei sprang sie nach vorne. “Hab dich!” Der Kopf des dunkelhaarigen Jungen, der auf der Steintreppe saß, fuhr herum. Celine konnte sehen, wie der Schreck sein Gesicht verzog, er erschrocken halb von der Steintreppe sprang, halb fiel, aber zu spät. Celines Hand hatte ihn bereits an der Schulter berührt. Der Schreck wich Enttäuschung, dann anerkennender Freude. Celine hatte es in ihrem ganzen Leben nur ein paar Male geschafft, ihren Bruder zu fangen und so kostete sie jeden Moment des Triumphes aus. Der anerkennende Blick dazu war ein lobender Ritterschlag für sie.

“Nicht schlecht! Wie bist du so nah ran gekommen?” Celine deutete auf den Stapel Kisten einige Meter hinter ihr. “Von den Kisten aus. Vorher kam ich von da.” Ihr Finger gestikulierte in Richtung des Pfades zwischen der eingestürzten Hausmauer und dem Schrotterverschlag. Der Junge verzog das Gesicht. “Ja da war ich auch.”, sagte er und drehte ihr seinen linken Ellenbogen hin. Ein großer, roter Fleck hatte sich dort gebildet, die Haut war aufgeschürft und die Stelle zeigte erste Anzeichen einer Verbrennung. “Ich bin beim Laufen irgendwie an die Wand gekommen. Dass sie so heiß ist, hätte ich nicht gedacht.”, meinte der Junge mit einem gequältem Lächeln. Celine setzte sich auf die Steintreppe. “Lass mich mal sehen.” Er nahm neben ihr Platz und hielt ihr dann den Arm hin. Armand war älter als sie, aber während ihr Bruder in den Schrotterwerkstätten lernen sollte, hatte Celine viel im Haushalt helfen müssen und Brandwunden waren da keine Seltenheit gewesen. “Mhm, ist vermutlich nicht so schlimm wie es sich anfühlt, aber wir sollten sie trotzdem auswaschen und kühlen. Weißt du, ob Mama noch Wasser kaltgestellt hat?” Der Junge zuckte mit den Schultern. Ganz in der Nähe grunzte jemand laut im Schlaf und der haarige Fuß, der bis gerade eben noch unter der Markise hervor geragt hatte, zog sich darunter zurück. Celine schwieg für einen Moment, blickte die Straße entlang und dann zu ihrem Bruder. “Armand?” “Ja?” “Musst du im Frühjahr wirklich fortgehen?” “Ich fürchte, ja.” Armand sah sie an. “In Toulouse gibt es gute Arbeit und ich kann viel lernen. Mehr noch als hier. Mit etwas Glück bekomme ich nach einem Jahr guter Arbeit ein festes Gehalt gezahlt und dann haben wir alle mehr. Außerdem weißt du doch, dass es letzten Winter schon so knapp war. Ich bin jetzt fast dreizehn, ich kann schließlich nicht ewig Zuhause bleiben.” In seiner Stimme schwang Vorfreude, aber auch Unsicherheit und eine Spur von Kummer mit. Celine starrte auf ihre Knie. Ihr war klar gewesen, dass die letzten Wochen, in denen sich ihr älterer Bruder ganz besonders viel mit ihr beschäftigt hatte, nicht für immer waren. Aber die Freude darüber, dass er endlich wieder mit ihr Fangen und Verstecken spielte, hatte die Gedanken an den Abschied im Frühjahr während des Spiels rasch aus ihren Gedanken vertrieben. Celine fühlte einen dicken Kloß im Hals und das gleiche schwere Gefühl, das auch immer wieder nachts in ihr hochstieg und sie in ihrem Bett weinen ließ, wohnte auch jetzt in ihrer Brust. Mit hängendem Kopf versuchte sie die kleinen Tränen fortzublinzeln, als sie spürte, wie Armand einen Arm um sie legte und sie an sich heran zog. “Das ist doch nicht für immer. Im Winter bin ich wieder hier. Und dann habe ich bestimmt genug Geld verdient, dass wir ohne Probleme über den Winter kommen und vielleicht noch etwas für das Frühlingsfest haben.”, sagte Armand liebevoll und küsste sie auf die Stirn. “Ich will aber nicht, dass du gehst.” Celine umarmte ihren großen Bruder, während sie die dicken Tränen spürte, die ihr die Wangen herunter rannen. Mit der zitternden Stimme eines kleinen Mädchens schluchzte sie ihm “Bitte, bitte, versprich, dass du im Winter wieder hier bist.” ins Ohr, während sie ihr Gesicht an seinem Hals vergrub. Armand lächelte und streichelte seiner kleinen Schwester tröstend den Rücken. Sein Blick wanderte über die Straße, an der eingestürzten Hausmauer entlang, wo vereinzelte Büschel Gras und Unkraut zwischen den Ziegelsteinen hervor wuchsen, hinüber zum Schrotterverschlag, an dessen metallener Außenseite sich das Licht spiegelte. Der Nussbaum, an der nächsten Kreuzung, in dessen Schatten die Hunde dösten. Armand schluckte schwer. Das alles zurückzulassen fiel ihm jetzt schon schwer. “Ich versprech’s.” Sein Blick hing an der kleinen Wolke, die sanft über den sonst wolkenlosen, friedlich hellblauen Himmel glitt. Er spürte, wie seine kleine Schwester ihn in ihrer Umarmung enger an sich drückte. Dann den kleinen dunklen Fleck, der, ganz einer Sternschnuppe gleich, über den Himmel flitzte. Armand drückte Celine noch einmal und schloss die Augen. Bei Sternschnuppen hatte man einen Wunsch frei. Und so hielt Armand seine Schwester in den Armen, spürte seine eigenen Tränen über die Wangen rinnen und dachte an seinen Wunsch und an nichts anderes. Es würde eine sehr lange Zeit dauern, bis sich in Aquitaine jemals wieder jemand etwas wünschen würde.


(Quelle: Altes Degenesis-Forum)