Namra-Zyklus II
Die Inhalte im grauen Kasten wurden von Gideon erstellt. Es handelt sich um Fanwork und nicht um offizielle Spielinhalte. |
Namra spürte die warmen Strahlen der frühen Morgensonne über sein Gesicht lecken wie die treue Schnauze eines Wüstenhundes über das Antlitz seines Herrn. Mit noch immer geschlossenen Augen kam er langsam zurück aus dem Schlaf und die Ereignisse des letzten Abends schoben sich wie Schattenspiele durch das Zwielicht unter seinen Augenlidern. Wie Antef die Psychovoren zur Seite geschoben hatte.. wie sich der Widderkopf erhoben hatte, die steinernen Augen starr auf ihn gerichtet. Amuns Blick war auf ihn gefallen und hatte ihn bis in den tiefen Schlaf verfolgt. Vor einigen Jahren hätte der Zorn über die Irreführung durch seinen Mentor ihn tagelang in seinen kalten Fäusten gepackt gehabt, aber jetzt War da kein brodelndes Messer, das in seinen Eingeweiden wühlte, das ihm tagelang die Laune verdorben hätte. Alles lag ruhig und still - bis laute, schmerzende Fragen sich in seinen Geist drängten, sich an die Oberfläche kämpften und wie Schiffbrüchige nach dem klaren, durststillenden Wasser einer zufriedenstellenden Antwort gierten. So sehr schrien sie durcheinander, dass es unmöglich war, eine einzelne Stimme unter ihnen auszumachen.
Plötzlich war die Wärme der Sonne verschwunden. Kalter Schatten strich ihm übers Gesicht. Namra kniff die Augen zusammen und sagte mit noch vom Schlaf belegter Stimme:”Ich bin ja schon wach Antef.” “Gut. Du solltest bald aufstehen. Dir steht heute viel bevor.” Die Stimme einer Frau peitschte das Leben durch seine Adern. Instinktiv griff er zur Sichel neben seiner Lagerstätte, rollte sich darüber, weg von der Stimme, zog die Knie an und katapultierte sich dann in die Aufrechte. Das Sonnenlicht stach, zwang ihn zu blinzeln und offenbarte nur die Umrisse der Frau, die ruhig noch immer an der selben Stelle stand. Da War es wieder, das Messer in seinen Eingeweiden, nur viel greifbarer als diffuser Zorn. Die Innenseite seines Bauchs protestierte zornig gegen die plötzliche Bewegung. Die Ammitsichel mit beiden Händen gepackt hielt Namra ihr das scharfe Ende entgegen. Noch immer vollkommen ruhig und entspannt legte die Frau den Kopf schief und schien ihn eingehend zu betrachten. “Du brauchst keine Angst haben, Namra. Ich bin nicht hier um dir weh zu tun.” Ihre Stimme War seltsam weich, glatt und seidig, wie die feinsten Stoffe in Qabis. Langsam gewöhnten sich Namras Augen an die Helligkeit und er sah, dass er eine Frau mit siena-farbener Haut vor sich hatte, gehüllt in lang geschnittenen weißen Tuchstoff, der an den Armen kürzer gefasst war. Sie stand aufrecht mit geradem Rücken und hatte den Daumen einer Hand hinter einen rotledernen, mit goldenen Kreisen beschlagenen Gürtel geklemmt. “Antef ist schon vorausgegangen und hat mich gebeten, dich zur Eile anzutreiben. Er sagt, du seist unter Kemza faul und selbstgerecht geworden.” Sie lächelte spöttisch. Er runzelte die Stirn. “Mhm.. das klingt schon nach etwas, das Antef sage würde.” Namra senkte die Sichel ein wenig und legte eine Hand an die Stirn, um sie genauer in Augenschein nehmen zu können. Die lockigen dunklen, fast schwarzen Haare hatte sie in einem Knoten am Hinterkopf zusammengefasst, aber an beiden Seiten ihres schlanken Gesichts fielen lockige Strähnen herunter, die sie sich ab und an hinters Ohr strich. Ihre Haut War absolut makellos. Keine Unreinheit verunstaltete ihr Gesicht, lenkte von ihren schmalen und geraden Augenbrauen über ihren tiefgrünen Augen ab oder pervertierte ihren ebenso gleichmäßigen Lippenschwung unter einer geraden, wenn auch schmalen Nase. “Na was ist? Willst du Wurzeln schlagen? Pack euer Zeug ein!" drängte sie ihn. "Ich bin übrigens Mes.” Namra brummte ihr kurz zu und begann währenddessen ihre Schlafrollen zu verschnüren und ihr Gepäck zu verstauen. “Na schön, ich glaub’ dir mal. Ich nehme an, Antef hat dir bereits alles erzählt was man über mich wissen kann? Meinen Namen kennst du ja auch schon.” Er blickte sie etwas vorwurfsvoll an, während er die Schnüre seiner Schlafrolle festzog. Mes verzog hämisch den Mund. “Ich gebe zu, wir dachten nicht, dass du noch in diesem Jahr zu uns kommst, aber Antef scheint wohl überzeugt zu sein, dass du soweit bist. Die Ammitsichel hast du ja auch schon erhalten.” Namra schob sich den eigenen Rucksack auf den Rücken und schnallte sich den von Antef vor die Brust. “Noch dieses Jahr?” Er hob eine Braue. “Wieder eins von Antefs lang geplanten Spielchen, was? Wieso hättet ihr erst im nächsten Jahr mit mir gerechnet? Bis vor ein paar Stunden wusste ich noch nicht einmal, dass dieser Ort existiert oder dass hier Menschen leben.” Mes zwinkerte nur, wandte sich um und ging auf die alten Steinmauern zu, die am Ende des von Psychovoren befreiten Weges standen. Hohe Säulen ragten links und rechts von ihnen in die Höhe. Höher als Namra lieb gewesen wäre - um die 40 Meter reichten die steinernen Bauwerke der Pylonen an manchen Stellen in die Luft, die Säulen erreichten ihren Höhepunkt bei etwa 20 Metern. Etwas Uraltes hing an diesen Steinen, an den Bildern und Zeichen, die man vor sehr langer Zeit in sie hinein geschlagen hatte. Aber da war auch etwas in der Luft, das sich freundlich und warm anfühlte, behaglich, als wäre er schon immer hier gewesen und hätte den größten Teil seines Lebens hier verbracht. Er kannte diesen Ort und doch war alles neu für ihn. Der Hof dahinter, so schien es, war mit einem guten Dutzend Zelten und Unterkünften bebaut, die links und rechts von einer Reihe großer Säulen im Zentrum des Hofs platziert worden waren. Hier und da erspähte Namra auch andere Bewohner dieses seltsamen Ortes, die meisten offensichtlich mit dem Blut des Löwen, aber auch einige wenige mit helleren Hauttönen, wie man sie aus dem Land der Krähe kennt. Mes hielt jedoch nicht an und führte ihn an Säulen und Unterkünften vorbei und unter den schweren Pforten eines Pylonen hindurch bis sie schließlich in eine Art Halle kamen. Gigantische Säulen reihten sich hier im Abstand einiger Meter aneinander. Jemand hatte aus verschiedensten Materialien ein Dach darüber konstruiert, vermutlich um den darunterliegenden Platz vor Wind und Wetter zu schützen. Am Fuß mancher Säulen standen kleine Leuchtstrahler, die so durch geschickte Positionierung weite Teile der Halle erhellten. Kabel wanden sich wie schwarze Schlangen über den hellen Steinboden. An einigen Stellen hatte man Tische und Stühle aus Plastik und Aluminium aufgestellt auf denen wissenschaftliche Geräte standen, wie sie Namra unter manchen seiner Lehrmeister gemieden hatte, an manchen saß sogar jemand, nickte ihnen zu wie sie an ihnen vorbeischritten. “Ah, ja, der Neuankömmling.” kam eine schneidende Stimme von rechts. Dort stand Antef, in saubere, helle Leinenkleider gehüllt, die den Falten seines Gesichts das Aussehen von durch Wassermassen ausgeschabter Schluchten verliehen, und neben ihm, der der gesprochen hatte, ein hochgewachsener Mann, mit kahlem Schädel, feinen Gesichtszügen und einem strengen Zug um den Mund. Mes geleitete ihn zu den beiden und stellte ihn vor: “Hogon Sethos, das hier ist Namra, der nun auf Ammits Pfaden wandelt. Namra, Hogon Sethos.” Sethos reichte ihm die feingliedrige Hand, zog ihn in eine freundschaftliche, wenn auch klar bestimmende Umarmung, hielt ihn dann an den Schultern und musterte ihn kurz. “Gut, gut. Schön dich kennen zu lernen Namra. Wie ich sehe hast du dich gut erholt. Noch ein wenig steif um den Nabel herum, nicht wahr? Keine Sorge, das vergeht mit der Zeit. Ich bin mir sicher, du hast viele Fragen und auch wenn ich dir einige beantworten kann und werde, so musst du doch erst in den Bund aufgenommen werden, bis du den nächsten Teil deiner Reise antreten kannst. Die Zeremonie findet heute Abend, direkt nach Sonnenuntergang statt, bis dahin hast du etwas Zeit um dich einzurichten.” Er lächelte ein schmallippiges Lächeln, drückte Namra sanft die Schulter. “Ihr entschuldigt mich.” Dann ließ er die drei stehen und schritt um die Säulen herum davon. Namra sah seinen alten Totenführer vorwurfsvoll an. “Warum beim Duat hast du nichts von all dem hier jemals erwähnt? Ein Geheimbund? Das ist selbst für deine Verhältnisse schräg.” Antef erwiderte den Blick mit einer Spur Häme. “Weil ich mir nicht sicher war, ob du unter Kemza nicht doch tatsächlich deinen Verstand verraucht hattest. Nur Eingeweihte wissen von Amuns Gefolge und diesen Bund ehren wir. Du wirst lernen müssen. Viel lernen.” Seine Augen suchten Namras Gesicht ab. “Es wäre eine Schande gewesen, dich herzubringen, wenn dich der Fraß auf dem Weg dahinrafft.” Er bremste sich. Namra seufzte bei dieser Bemerkung. “Na was solls, besser als sich mit den Massai in die Diskordanz zu stürzen.” Antef grinste ein breites, verrunzeltes Grinsen: “Du hast ja doch etwas bei mir gelernt.” Der Rest des Tages flog nur so an Namra vorbei. Mes zeigte ihm seine Unterkunft, stellte ihm einige der anderen Anwesenden vor, erklärte ihm, wo die Mahlzeiten eingenommen wurden und wo er seine Notdurft verrichten konnte. Es gab strikte Rationen, offenbar war es immer noch schwierig, Nahrungsvorräte heranzuschaffen. Die Psychovoren hätten sich vom Großteil der Ruinenanlage zurückgezogen, seit Sethos den Bund vor einigen Jahren hierher geführt hatte, beantwortete eine Heilerin namens Saba eine von vielen Fragen, während sie ihren Teller mit Brot auswischte und die linke Hand, an der sie nur vier Finger hatte, daneben ruhte. Am Ufer eines Sees, der etwa 200 Meter vom Platz der Unterkünfte entfernt lag, konnten sie Feldfrüchte und Wurzeln anbauen, die nicht von den Psychovoren ersetzt wurden, auch Nussbäume wuchsen dort, aber die Erträge reichten bei weitem nicht, um alle Anwesenden zu ernähren. Auf Nachfrage erfuhr Namra, dass etwa fünfzig Menschen in den Ruinen lebten, forschten und lehrten. Ein Teil von ihnen hatte das Gebiet der Psychovoren schon seit Jahren nicht mehr verlassen und konzentrierte sich vollständig auf ihre Untersuchungen, während eine kleine Gruppe ihre Anstrengungen darauf fokussierte, Vorräte und andere Dinge von der Gegend östlich des großen Nils zu beschaffen. Man könne es unmöglich riskieren, Dinge preiszugeben. Der Nil war groß und breit geworden, hatte viele Orte unter seinen Fluten begraben, aber an anderen Stellen hatte er Orte gemieden, floss rasch an ihnen vorbei, eilte nordwärts gen Kairo. Saba erklärte, dass die meisten Afrikaner davon ausgingen, dass dieser Ort gar nicht mehr existierte. Immerhin sei alles von Psychovoren überwuchert und alte Karten, die die neolibyschen Karthographen borgen und korrigierten, sollten auch weiterhin keinen Aufschluss geben. Sethos würde es gerne so belassen und deswegen richteten sich die meisten Reisen nach Osten. “Es gibt nur wenig Austausch zwischen den Gegenden auf beiden Seiten des Nils. Die Menschen dort sind froh, wenn wir zu ihnen kommen und sie stellen keine Fragen, freuen sich über Nachrichten und Gesellschaft.” Saba zuckte mit den Schultern und warf die geflochtenen Zöpfe über die Schulter. “Abgesehen davon, in Qabis spricht man davon, ein paar dieser kahlen Männer aus Europa eingeladen zu haben und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich umzusehen. Die Sorte von Glatzköpfen, die zu viele Fragen stellen.” Sie zwinkerte, als sich Namra mit der Hand über den kahlrasierten Schädel strich. Mes sprach beim Essen wenig. Stattdessen musterte sie Namra die meiste Zeit eingehend, während er Saba mit Fragen löcherte. “Stimmt irgendwas mit mir nicht?” fragte er, während Mes ohne Unterlass sein Gesicht betrachtete. “Ach, ich weiß nicht. Kommt mir nur komisch vor, wie du hier angekommen bist.” Sie kniff die Augen zusammen. “Aber davon abgesehen, wie fühlst du dich? Dir ist aufgefallen, dass die meisten anderen hier Heiler oder Seelenwäger sind, nicht wahr?” Namra zögerte einen Moment. “Es gibt hier wohl kaum Arbeit für Sicheln.” Er grinste. “Das glaubst du.” Sie grinste verschwörerisch. “Aber jetzt einmal ernsthaft, wie fühlst du dich?” Sie deutete auf seine Bauchgegend. “Wie hat Antef das hinbekommen? Ich hab viel gesehen und da war wirklich so manches dabei, was Unwissende schlicht und einfach nur als Wunder bezeichnen würden. Was ich so gehört habe..” Sie machte eine Pause. “.. sollst du fast.. leer gewesen sein.” Namra öffnete den Mund und wollte schon antworten, erinnerte sich dann an die Ereignisse. Wie er in einen Kadaver eingenäht worden war, die stinkende Höhle aus Knochen und Fleisch ihn neu geboren hatte. Er hielt inne und überlegte es sich dann anders. “Antef kennt viele Tricks und Geheimnisse und keins davon verrät er jemandem. Ich hab zum Glück nicht gesehen, wie das aussah..” Er legte die Hand auf seinen Bauch. “und ich kann nicht gerade behaupten, dass ich sonderlich traurig darüber bin. Wenn ich so etwas sehen will, kann ich auch Trauben zerquetschen.” Namra sah gespielt misstrauisch Saba an. “Sind das hier die üblichen Gesprächsthemen zu den Mahlzeiten?” Mes schüttelte grinsend den Kopf. “Du bist ein Idiot, Namra. Aber gut, behalte das Geheimnis ruhig für dich, irgendwann wirst du’s mir schon verraten.” Sie streckte ihm die Zunge heraus. Die drei erhoben sich schließlich. Mes und Saba hatten noch andere Pflichten zu erfüllen, entschuldigten sich und so strich Namra eine Weile alleine durch die Säulenhalle, betrachtete die in Stein und Fels gehauenen Zeichen und Bilder. Gegen Sonnenuntergang brachte Saba ihn zu einem Pylonen in der Nähe des Sees, vor dem sich die hier Lebenden versammelt hatten. Sethos stand in der Mitte des Torbogens, saubere weiße Leinen am Leib, ebenso wie die Umstehenden. “Namra, da bist du ja. Wir hatten schon befürchtet, jemand hätte dich nach deinen vielen Fragen im See ertränkt und wir hätten uns ganz und gar grundlos versammelt.” Er lachte kurz, legte Namra, der noch immer seine braune Reisekleidung mit Fellbesatz trug, den Arm um die Schulter und führte ihn zur Mitte des Torbogens. “Wir alle sind froh über deine Ankunft, Namra von Qara. Nur selten kommt eine Sichel im Prozess der Transformation zu uns und umso bedeutender ist deine Ankunft bei uns. Vieles was du schon weißt, hat dir Antef beigebracht..” - Er deutete mit einer Hand auf den alten Lehrmeister, dessen Gesicht im Schein der Kohlepfannen, die man links und rechts des Torbogens aufgestellt hatte, noch zerfurchter aussah, als es am Morgen in der Säulenhalle getan hatte. “.. aber vieles, was du noch nicht weißt, wirst du bei uns lernen. Um in der Mitte von Amuns Zirkel anzukommen fehlt dir aber noch etwas.” Sethos machte eine dramatische Geste mit der freien Hand, drehte ihn herum, weg von den Menschen, sodass er durch den Torbogen blickte - auf eine Straße. Links und rechts des Weges konnte er im Halbdunklen kalte Feuerschalen ausmachen, die in regelmäßigem Abstand am Rand des Weges standen. Auf eine Handbewegung Sethos’ kam Mes heran, reichte Namra eine Fackel und trat dann wieder zurück. Namra blickte etwas verwirrt zwischen ihr und Sethos hin und her. “Du wirst jede Schale entzünden, in ihnen ruht das Herz der Weisheit und der Torheit. Aber wichtiger als in die Finsternis ein Licht zu tragen, ist es, dass du dir die Botschaft zu Herzen nimmst. Jeder Weg muss ein Ende haben, genauso wie das Leben. Und am Ende deines Weges wirst du deinen und unseren Mut gefunden haben.” Die letzten Sätze hatte Sethos mit solcher Inbrunst gesprochen, dass die Intimität in seiner Stimme zu hören, ja an der Hand auf der Schulter zu spüren war. Etwas Persönliches lag in den Worten des Mannes, eine Unerbittlichkeit - aber auch ein Hauch von Schuld. Schuld, so groß und schwer, dass man die Tiefe des Abgrunds nicht mehr sehen konnte. Im flackernden Licht der Fackel wurde Namra Züge in Sethos’ Gesicht gewahr, die er vorher nicht bemerkt hatte. Falten, kaum sichtbar und doch.. unmöglich zu übersehen. Ganz nah war das Antlitz des seltsam fremden Mannes, als dieser ihn an den Schultern hielt und vorwärts schob. Dann war er wieder Sethos, der Hogon. “Nun, aber los mit dir.” Sethos lächelte ein schmales, schakalhaftes Lächeln und gab ihm dann einen leichten Schubser, unter dem Torbogen heraus - stieß ihn hinein in die Dunkelheit. Namra ging voran, schritt mit der Fackel in der Hand zur ersten Feuerschale und hielt die Fackel an die kleinen schwarzen, schaumartigen Brocken, die neben Zunder darin lagen. Es knisterte, knackte, dicker, schwarzer Rauch voller Teilchen wie Ascheflocken wölkte beständig aus den aufglühenden, welkenden Herzen. Fast wirkte es als wanden sie sich in der Hitze wie verwundete Schlangen, quälten sich wie waidwunde Tiere in der Glut. Im nächsten Moment stank die Luft um Namra, die Haut brannte im Rauch. Saurer Geschmack füllte seinen Mund aus, der Rauch zwang sich seinen Hals hinab. Er hustete, blinzelte, als ihm die Tränen kamen, stolperte rückwärts und warf einen verwirrten und halb ängstlichen Blick zurück zum Pylonenbogen, wo er die weiß gekleideten Schemen ausmachen konnte. Trotz der Entfernung waren die Umrisse von Sethos und Antef gut zu erkennen. Mehr noch, er sah sie schärfer als zuvor, roch sie förmlich, sog ihren Duft auf, wie der Löwe der Gezelle nachstellt. Aber da war ein schwarzer Fleck, ein Wabern, dumpfes Rauschen, eine Fallgrube für seinen Blick, der direkt neben ihnen stand und sich jetzt hinter die anderen zurückzog. Namra schüttelte benommen den Kopf, dann machte er kehrt und stapfte zur nächsten Schale. Mit jeder weiteren Schale, die er entzündete, vergrößerte sich sein Abstand zum Pylonen an dem die anderen warteten. Der Weg, dem er folgte und an dessen Rändern er regelmäßig Gefäße entzündete, zog sich wie ein gerader, qualmender Gluthieb durchs Land. Schale um Schale zwang sich dicker, zäher Rauch in seinen Rachen. Namra roch, sah und fühlte tausend Gerüche und Geschmäcker, hörte tausende Stimmen, die ihm direkt ins Gehirn flüsterten. Oder sprach sein Gehirn mit tausenden Stimmen zu ihm? Er wusste es nicht. Waren das die Geister der Ahnen oder nur Spuren des Wahnsinns, der einem jedem Menschen im Gehirn saß und nur darauf wartete, dass man die vergitterte Tür aufstieß? Die Schritte fielen ihm schwerer, die Gedanken rasten nur so dahin, schossen wie Pfeile durch die Nebelwolken. Ein jeder Weg muss ein Ende haben? Glaube war eine Sache, er selbst glaubte, versuchte immer seine Spiritualität mit den erlernten Weisheiten und Wahrheiten in Einklang zu bringen. Aber das hier.. Etwas Okkultes haftete dieser Gemeinschaft an. In Namra machte sich der Gedanke breit, dass er sich einem verrückten Kult, einer Sekte oder einem bösen Zirkel angeschlossen hatte, die ihn ihrer Spinnerei als Opfergabe darbieten würden. Aber würde ihn Antef so verraten? Auch waren die Menschen so gar nicht das gewesen, was er von einer solchen Sekte erwartet hätte. Und wozu dann sein Gepäck unterbringen? Das alles war etwas zu rituell für seinen Geschmack. Als Kind hätte er den Mystizismus aufgesogen wie Muttermilch, wäre in seinem Schein erblüht. Aber die Dinge standen jetzt anders. Von den Innenwänden seines Schädels hallten noch immer Sethos Worte im ständigen Echo zurück: “Jeder Weg muss ein Ende haben, genauso wie das Leben.” Die Worte wurden zurückgeworfen, hallten wider von weißen Gitterstäben, die unter ihnen erzitterten. Dahinter rührte sich etwas, schlich in den Schatten seiner Gedanken auf und ab. Der Pfad machte plötzlich eine Biegung, führte an einer zusammengefallenen Mauer aus alten, sandsteinfarbenen Ziegeln vorbei. Der Wind war die Jahrhunderte nicht müßig gewesen und hatte so lange am Stein geschmirgelt, dass er fast vollkommen glatt geworden war. Die Rillen zwischen den Steinen waren kaum noch zu erkennen. Aber neben der niedrigen Mauer ragte ein Schatten aus dem Boden, eine letzte, große Schale zu seinen Füßen. Jemand oder Etwas saß dort auf einem Stuhl und blickte auf die Biegung des Weges, immerzu, ohne den Blick jemals abzuwenden. Namra hob die Fackel und trat langsam näher. Wie auf einem Schemel ruhten die Füße auf einem Steinblock. Die Beine, gerade und in sitzender Haltung führten zu einem Körper, der wie der graue, steinerne Stuhl unter ihm vollkommen regungslos war. Eine Statue, schoss es Namra durch den Kopf, davon hatte er mittlerweile wirklich genug. Erleichterung sickerte durch Arme und Beine, tropfte wie süßer Nektar durch seine Adern. Auf den Schultern saß aber weder Menschen- noch Widderkopf, wie bei den anderen Steinfiguren, die er gesehen hatte. Geschmückt mit einer Art Krone und langer Mähne ruhte ein Löwenschädel auf den Schultern. Sechmet. Vor der Statue stand eine der Schalen und zwischen ihr und dem Block, auf dem die Füße ruhten, waren mehrere Platten abgelegt, die offensichtlich nicht von hier stammten, denn sie waren aus glattem, glänzendem Metall. Namra kniete nieder, hielt die Fackel an die Schale. Wieder zischte und rauchte es, aber diesmal war da kein saurer Geruch. Die schwarzen Brocken knackten, schienen von der Glut der darunterliegenden Zunderstückchen aufgebrochen zu werden. Süßliche Wolken hüllten ihn ein, er sog sie auf, ganz als ob er wusste, dass es wie gewöhnliches Atmen wäre, mehr noch, wie der erste Atemzug eines frisch geborenen Säuglings, der den ersten berauschenden Atemzug des Lebens inhalierte. Im flackernden Licht der Fackel traten nun Buchstaben auf die Metallplatte. Namra war sich nicht sicher, ob er sie nur übersehen hatte, oder ob es eine Reaktion auf das Licht und die Wärme der Fackel war, das die Worte zum Vorschein brachte. Er kniff die Augen zusammen, atmete den süßen Duft der schaumartigen Herzen in der Schale und las: Glücklich ist dieser gute Fürst, nachdem das gute Geschick eingetreten ist. Geschlechter vergehen, andere kommen seit der Zeit der Vorfahren. Die Götter, die vordem entstanden, ruhen in ihren Pyramiden. Die Edlen und Verklärten desgleichen sind begraben in ihren Pyramiden. Die da Häuser bauten, ihre Stätte ist nicht mehr. Was ist mit ihnen geschehen? Ich habe die Worte des [.......] und des [.....] gehört, deren Sprüche in aller Munde sind. Wo sind ihre Stätten? Ihre Mauern sind zerfallen, sie haben keinen Ort mehr, als wären sie nie gewesen. Keiner kommt von dort, von ihrem Ergehen zu berichten, ihren Bedürfnissen zu erzählen, unser Herz zu beruhigen, bis auch wir gelangen, wohin sie gegangen sind. Du aber erfreue dein Herz und denke nicht daran. Gut ist es für dich, deinem Herzen zu folgen, solange du bist. Tu Myrrhen auf dein Haupt, kleide dich in weißes Leinen, salbe dich mit echtem Öl des Gotteskults, vermehre deine Schönheit, lass dein Herz dessen nicht müde werden. Folge deinem Herzen in Gemeinschaft deiner Schönen, tu deine Dinge auf Erden, kränke dein Herz nicht, bis jener Tag der Totenklage zu dir kommt. Der Müdherzige hört ihr Schreien nicht, und ihre Klagen holen das Herz eines Mannes nicht aus der Unterwelt zurück. Feiere den schönen Tag, werde dessen nicht müde. Niemand nimmt mit sich, woran er gehangen; niemand kehrt wieder, der einmal gegangen.“ Darunter eine zweite Passage: “So mancher, der vom süßen Duft des Lebens gekostet, vergisst, Wer er war, belügt sich, wer er ist. Wer einst gekommen, muss auch wieder gehen. Und wenn er sich weigert, so wird’s ihm genommen.” Der Rausch breitet sich in seinem Kopf aus, zieht schwer durch seine Adern. Zentnerschwere Gewichte hängen an Armen und Beinen, ketten ihn vor der Statue an den Boden. Der Oberkörper wiegt vor und zurück. Über ihm blinken und funkeln die Sterne. Sein Atem geht ruhig, gleichmäßig. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Da sind Formen, Gespinste, Sterne, die sich vor seinem inneren Auge verbinden, Bilder erschaffen und wieder auseinanderstieben. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Dann beginnt der Schmerz. Tausende und Abertausende von Nadeln durchstechen seine Lunge, hunderte Messer durchtrennen Sehnen und Bänder, Arme und Beine fallen herab, geben nach. Die Fackel schlägt auf dem Boden auf, Funken stieben in die Nacht. Schwer prallt der Körper auf dem Boden auf. Das Herz sitzt in einem glühenden Schraubstock, der sich immer enger zieht, rebelliert in immer hastigeren Schlägen. Weiße Schlangen wühlen in seinen Eingeweiden. Der Kiefer schlägt gegen den Schädel, wie der Hammer gegen den Amboss. Weiße Gitterstäbe. Schatten in der Finsternis. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Zwischen den Zähnen quillt weißer Saft hervor, rot gesprenkelt wie Granatapfel. Mund und Rachen füllen sich mit Eisen. Die Augen fliehen, suchen Zuflucht in ihren Höhlen. Jede Faser steht in Flammen. In den Adern toben millionenfache Schlachten, das Herz trommelt den Rhythmus des Krieges, der zerbricht wie brüchiges Glas und einer einzigen blutigen Scherbe Panik das Feld überlässt. Einatmen. Einatmen. Einatmen. Einatmen. Stille. Kein Hammer fährt auf den Amboss nieder. Verlassen liegen die roten Straßen und Gänge, in denen der Wind ein willkommener Gast wäre. Finsternis. Bleiche Gitterstäbe. Weiße Gitterstäbe in der Dunkelheit. Und Schatten in der Finsternis. Ein Käfig aus Elfenbein. Ein Käfig aus Marmor. Ein Hexagon aus Knochen. Oben, unten, links und rechts, vorne und hinten. Weiße Gitterstäbe. Etwas blickt auf ihn. Blickt in ihn. Er blickt zurück. Aber er sieht nur sich selbst. Der Käfig knackt, als sich der Schatten dagegen wirft. Wieder und wieder, immerzu gefolgt von immer lauterem Knacken. Brocken fallen heraus, wie splitterndes Eis. Weiße Wolken stieben auf, lautlos bricht das vordere Gitter in sich zusammen. Es blickt auf ihn. Blickt in ihn. Er blickt zurück. Aber er sieht nur sich selbst. Es lächelt. Er lächelt zurück.
(Quelle: Altes Degenesis-Forum) |