Namra-Zyklus V
Die Inhalte im grauen Kasten wurden von Gideon erstellt. Es handelt sich um Fanwork und nicht um offizielle Spielinhalte. |
Die Nussbäume rascheln im Wind. Namra drückt die Erde mit der Hand etwas fester, richtet sich dann auf. Mes steht neben ihm, still. Ein friedlicher Duft liegt in der Luft, die sanft durch die Äste streicht und lange, seichte Wellen auf den See zeichnet. Die Sonnenstrahlen tanzen auf der Wasseroberfläche. Mes’ Haut glänzt vom Öl, das sie sich in Haut und Haare massiert hat. Eine Kreation Sabas. Flüssiges Andenken. Der See ist eine Scheibe aus glitzerndem Gold. Der Moment scheint endlos zu reichen. Kostbarer Friede, der den Verstand zur Ruhe kommen lässt. Die Blutsteine fühlen sich schwer an, rollen träge in der Handfläche umher. Wortlos gehen die beiden nebeneinander her, als sie dem See den Rücken kehren. Sie hätten gern mehr für Saba getan, aber ihnen bleibt keine andere Wahl, sie können unmöglich bleiben. Die Vorräte werden nicht mehr lange reichen, keine Zeit für Rituale. Abschied hängt in der Luft. Abschied von Saba, Abschied vom Nil.
Mes war bei der Nachhut gewesen, hätte am Ende der Sphingenallee auf Seka und Saba warten sollen, aber eine üble Vorahnung hatte sie zurück zur Tempelhalle geführt. Wohin der große Rest weitergereist war, konnte sie nicht sagen. Sethos hatte einen raschen Abzug befohlen, alles, was irgendwie transportabel war, hatten sie mitgenommen, selbst die Generatoren waren abmontiert worden. Die ersten hatten bereits zwei Tage nach Beginn von Namras Quarantäne das Lager abgebrochen, der Rest folgte in den nächsten Tagen. Saba blieb zurück, wollte um Namras Leben kämpfen, nicht einfach aufgeben. Ohne Erfolg. Sethos ließ ihr bis zum Ende des Monats, um sich um Namra zu kümmern, hatte sich regelmäßig bei ihr erkundigt. Dann war auch er abgereist und hatte Namras persönliche Habe mitgenommen. Ein Sichelschwert für einen Toten wäre reine Verschwendung. Mit ihr war nur Seka geblieben, der sie dann begleiten und mit ihr Mes an der Sphingenallee treffen sollte. Mes hatte ihre Freundin nicht alleine zurücklassen wollen. Aber alles war anders gekommen. Alle drei waren gestorben und Karnak und alles damit Verbundene läge bald hinter ihnen.
Namra und Mes kommen verhältnismäßig gut voran. Noch immer tropft und regnet es, aber glücklicherweise ist das Buschwerk nicht dicht genug, um ihnen ihren Weg zu versperren. Die Reise verläuft größtenteils ereignislos, entgegen ihrer Erwartungen meiden die meisten Tiere sie. Namra schreibt das auch dem sonderbaren, stinkenden Öl zu, das Mes aus dem dritten Rucksack holt und mit dem sie sich einreiben. Sie kann nicht erklären, wie das Öl funktioniert, nur, dass Saba viele Fläschchen herstellte, als sie im Land der Krähe waren - vermutlich eine eigene Kreation. Noch immer befinden sich mehrere davon im Rucksack, unterschiedlich beschriftet, aber unlesbar, dafür mit verschiedenfarbigen Korken verschlossen, andere bereits geöffnet und leer. Grün gegen Tiere. Schwarz gegen die Trauer. Rot gegen das Leben. Als sie nach vielen Tagen gegen Mittag den Dschungel verlassen, stehen sie am Rand einer abgelegenen Plantage, die ihre besten Tage bereits einige Generationen zuvor verlebt hatte. Ackerflächen breiten sich vor ihnen aus, zu ihrer Linken reihen sich Obstbäume aneinander. Eine Harke liegt achtlos zurückgelassen halb in einer Furche, in der das Regenwasser steht. In der Ferne sind Häuser zu erkennen. Während die beiden sich den Bauten nähern, lassen sie den Blick kreisen. “Niemand ist hier..” flüstert Mes. “Sollten hier nicht Arbeiter und Sklaven herumlaufen? Die Felder und Bäume sehen nicht verwahrlost aus..” Namra hat auf ihren fragenden Blick nur schlechte Antworten parat. “Ich denke schon.. mit Landwirtschaft konnte ich nie etwas anfangen.” Er verzieht den Mund. “Natürlich.” gibt Mes spöttisch zurück. “Am besten, wir schauen uns da mal um.” Sie deutet auf eines der Häuser, das deutlich größer und prächtiger aussieht, als die umstehenden. Namra pult mit dem Finger im Ohr. Alles hört sich so dumpf an, hat er Wasser im Ohr? Am Rand der Felder reihen sich Rosenbüsche, Blumenbeete und Zierpflanzen in Tonkübeln aneinander. Die Pflanzen haben die Häupter gesenkt, manche sind vom Regen so verdroschen worden, dass sie ihre erschöpften, farbigen Kronen kaum über den Kübelrand heben können. Mes fasst Namra am Arm, deutet wortlos auf die Lücke zwischen zwei ermatteten Rosensträuchern. Unter dem Grün ragt ein Paar Sandalen tragende Füße hervor. Rote Schlieren zeichnen die sonnengebräunten Waden eines Weißen nach, in kleinen Pfützen steht roter Saft, den die Erde nicht aufnehmen konnte. In Rinnsalen läuft er aus dem Beet, zieht eine blühende Spur über den Weg aus weißen Steinfliesen zwischen den Beeten. Namra kniet nieder, legt die Hand auf einen der Füße. Warm. Der mittlerweile nur noch schwache Regen wird von einem Ruf durchschnitten. “Höher! Höher!” Geduckt huschen Namra und Mes zur nächsten Häuserecke, spähen auf einen Innenhof. Eine Gruppe Männer und Frauen in schlechter Kleidung steht dort, ein Seil in den Händen, während sie jemanden an einem Balken, der aus einem der oberen Fenster ragt, nach oben ziehen. Die Beine strampeln, zappeln hilflos in der Luft. Die Hände sind krampfhaft um die Schlinge am Hals geschlossen. Bei jedem verzweifelten Tritt prasselt goldener Regen nach unten, doch niemand macht Anstalten, die Münzen oder anderes Kleinod vom Boden aufzulesen. Stattdessen treibt eine Frau sie nur weiter an: “Höher! Ihr sollt ihn höher ziehen! Ja.. so ist’s gut! Na, wie gefällt dir das, du wertloses Stück Abschaum?! Meinetwegen kannst du so viel Gold scheißen, wie du willst, das hilft dir jetzt auch nicht mehr! Strampel ruhig weiter, vielleicht reißt das Seil ja und du brichst dir beim Fall auch noch was!” Sie wirft den Kopf zurück, lacht kehlig und spuckt aus. “Wir müssen etwas tun!” flüstert Namra hektisch, Mes schüttelt den Kopf, legt die Hand auf seinen Unterarm. “Nein, Namra! Das sind acht oder neun! Wir haben nichts dabei außer ein paar alten Messern! Lass uns jetzt keine Dummheiten machen und verschwinden, solange wir noch können!” Sie zieht an seinem Ärmel. “Iiiich fürchte, dafüüüür ist eees jetzt leiiiiiider zu spääät.” krächzt eine Stimme hinter ihnen. Jemand drückt Namra etwas Spitzes in den Rücken. “Looos, vorwäääärts. Auf den Hooof.”Die Stimme spricht seltsam gedehnt, zieht die Laute sonderbar in die Länge. Namra spürt einen sanften Druck im Rücken und geht vorwärts. Mes rollt vorwurfsvoll mit den Augen. “Na toll. Du bist die schlechteste Sichel, die ich kenne.” Als sie zwischen den Häusern heraustreten, befestigt einer der Männer und Frauen das Seil gerade um eine der Steinsäulen, die zur Dekoration hier und da aus einem Beet ragen und die den ganzen, größtenteils marmorierten, Innenhof säumen. Von einigen Häuserwänden läuft Blut. Ein Geißler mit blauen UAO Helm lehnt am Fuß einer Säule, die Maske liegt zwischen den Blüten eines Blumentopfs daneben. Jemand hat einen Spaten durch sein Gesicht gerammt, der Griff ragt schräg aus dem Schädel. Um ihn herum zwei weitere Leichen in Leinenkleidern, eine Frau mit verdrehtem Kopf, die mit blauen Augen vor sich hinstarrt. Auch zwei andere Geißler hat es erwischt. Einer liegt in einer Lache roten Blutes quer über einen Weg, eine spitze Scherbe aus der Gurgel ragend, der Rest der Splitter auf dem Weg verteilt. Der andere ist verstümmelt, der rechte Arm ist ihm abgetrennt und in einen Blumentopf gesteckt worden. Das Gesicht ist eine rote Masse. Vom Blau des Helms ist kaum noch etwas zu erkennen. An der Kante des Weges liegend, füllt er sich langsam mit Regenwasser. Die Tropfen zeichnen kleine Wellenkreise in den blauen Teich. Am oberen Ende des Seils regt sich nichts mehr. Von den Geräuschen alarmiert, fällt die Aufmerksamkeit der jungen Frau, die gerade noch die Gruppe anfeuerte, auf Namra und Mes, die mit erhobenen Händen zwischen den Häuserwänden heraustreten. Die Frau reibt sich die Stirn. “Wer seid ihr? Euch beide kenne ich nicht. Wo hast du sie aufgegabelt, Rufin? Ach, ist auch egal. Lass sie los, ich bin mir ziemlich sicher, die noch nie hier gesehen zu haben und die zwei gehören sicher nicht zu dem Haufen Scheiße da oben. Wie N’Diayes Geißler sehen sie auch nicht aus.” Sie deutet das Seil hinauf und dann hinüber zum Säulenbild. “Keine Sorge, ihr beiden habt nichts von mir zu befürchten. Ihr seht ganz durchnässt und ausgehungert aus. Wenn ihr wollt, könnt ihr euch für ein paar Nächte hier ausruhen, Vorräte auffrischen. Es ist genug für alle da. Wir verschwinden in spätestens drei Tagen, bis dahin solltet ihr auch abhauen. Ansonsten meint man noch, ihr wärt das gewesen. Naja, du vielleicht nicht.” Sie mustert Namra. “Aber dir, Mädel, dir ziehen sie als Warnung für andere mit Sicherheit die Haut ab. Also macht euch am besten auf und davon, bevor wir auch abhauen. Die sind bei solchen Sachen leider nicht so fair wie wir.” Sie zwinkert. Ihr dunkles Haar mit den hellen Strähnen ist zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengefasst, nasse Strähnen rahmen das helle, mit leichten Sommersprossen gesprenkelte, Gesicht ein. Noch etwas perplex von der offenen Art der fremden Frau, spürt er, wie der spitze Gegenstand in seinem Rücken noch einmal kurz drückt und dann von seinem Rücken verschwindet. Direkt darauf bewegt sich der Mann namens Rufin durch ihr Blickfeld und beginnt, die goldenen Münzen aufzusammeln. „Ach, wo habe ich meine Manieren. Ich bin Skadi. Jaja, ich weiß, komischer Name. Aber was soll man machen, in Borca gibt es eben auch abgelegene Gegenden.“ Sie grinst breit und streckt ihnen ihre Hand entgegen. Mes ergreift sie rasch und stellt sich vor, während Namra zögert. Immer wieder blickt er hinauf. „Was.. Warum? Warum habt ihr das getan?“ Der Neolibyer wurde von seinen Sklaven aufgehängt. Wie können die Krähen es wagen, sich so gegen ihre Herren aufzulehnen? In Afrika.. solche Respektlosigkeiten? Er traut ihr nicht über den Weg. Noch immer hält Skadi ihm die Hand hin. „Na, weil er ein räudiger Gendosohn war, der es nicht anders verdient hat. Er hat die Männer geprügelt oder viel mehr prügeln lassen. Und die Frauen..“ Ihr Gesicht versteift sich, dann streicht ein schmutziges Lächeln darüber. „Er hat bekommen, was er verdient. Und wir waren noch gnädig. Also was ist jetzt?“ Sie wedelt mit ihrer ausgestreckten Hand herum, die Namra schließlich ergreift und sich ebenfalls vorstellt. „Gut, nachdem die Formalitäten geklärt wären, wollen wir nicht aus diesem verdammten Regen raus? Ich lad‘ euch zu einem Becher Wein ein.“ Mit einem Kopfnicken bedeutet sie den Beiden, ihr zu folgen. Mes wirft Namra einen mahnenden Blick zu und die beiden folgen. Aus den Augenwinkeln erkennt Namra, wie die anderen Sklaven ihn hasserfüllt anstarren. Das dumpfe Gefühl in seinen Ohren verschwindet. Er hört alles wieder klar und deutlich. Ich bin der Feind. Die drei sitzen in einem Studierzimmer, die Wände sind voller Landkarten. Ein Regal quillt beinahe über vor gerolltem Papier. Skadi wischt kurzerhand alles vom Schreibtisch und setzt sich darauf, während Namra und Mes in zwei davor stehenden Stühlen Platz nehmen. „Also, erzählt doch mal, wo kommt ihr her, wo wollt ihr hin?“ Aus einer Karaffe gießt sie Wein in drei Becher, reicht sie weiter. „Außer es ist euch zu unangenehm, darüber zu sprechen. Wie kommt es dazu, dass jemand mit einer einzelnen Sklavin durch die Gegend reist, aber gleichzeitig so abgeranzt aussieht?“ Sie mustert Namra. „Mit einer was?!“ Mes klappt vor Überraschung die Kinnlade herunter. „Ich bin mit Sicherheit nicht seine Sklavin!“ - „Oh. Eieiei, das ist mir jetzt aber peinlich. Und was seid ihr dann? Ein seltenes Liebespaar, das sich beim Turteln im Dschungel verlaufen hat?“ Ihr gespielt peinlich berührtes, breites Grinsen wirkt auf freundliche Art entwaffnend, ihr Blick wandert neugierig zwischen ihnen hin und her. Mes, die gerade Luft holen will, um ihrer gesamten angestauten Wut freie Bahn zu lassen, blickt einfach nur verdattert drein und schüttelt ungläubig den Kopf. „Wir würden gerne nicht darüber sprechen, wo wir herkommen. Wir hatten ein paar schlimme Wochen und Monate und würden das gerne alles hinter uns lassen.“ springt Namra ihr beiseite. „Natürlich.“ Skadi nickt verständnisvoll, ehrlich. „Gut, vielleicht fange ich an, dann habt ihr eventuell das Gefühl, dass ihr mir vertrauen könnt. Außerdem rede ich gerne.” Sie kichert. “Ich bin vor etwa 8 Jahren nach Afrika gekommen. Wie ist egal, aber ich kam nicht als freier Mensch hier an. Ich wurde gehalten wie Vieh und noch schlimmer behandelt. N‘Diaye, das Stück Scheiße, das ihr im Hof hängen sehen habt, hat mich gekauft. Um das alles abzukürzen.. er war ein Drecksack. Und gestern und heute war der Tag der Abrechnung. Einen Teil seiner Geißler hat eine Freundin etwas westlich in einen Hinterhalt gelockt und dort niedergemacht, zum Schluss waren nur noch ein dutzend Sklaven und er übrig. Er hat sich dann erst verschanzt, aber diese Neolibyer bekommen immer so schnell Hunger. Er hat nicht mal 12 Stunden durchgehalten.“ Sie lacht hämisch, schüttelt amüsiert den Kopf. Auf Namras erschütterten Blick hin fügt sie hinzu: “Keine Sorge, die haben es alle verdient. Jeder einzelne von ihnen. Naja, den Rest könnt ihr euch ja denken. Wir packen jetzt noch die letzten Reste ein und machen uns auf, unsere Freundin zu treffen und gemeinsam der Straße zu folgen.“ Sie mustert die beiden in ihren Stühlen, die sich fragend anblicken. „Es gibt hier eine Straße?“ fragt Mes. „Oh, Mädchen, du hast Recht, du bist tatsächlich keine Sklavin!“ Skadi lacht. „Ja, es gibt eine Straße, auch wenn sie nicht für Wägen gedacht ist und sie nicht durch den Dschungel führt. Dafür aber in die Heimat und in die Freiheit. Wo wollt ihr denn hin?“ Namra und Mes wechseln unsichere Blicke. „Wo genau sind wir?“ „Ihr seid in der Nähe von Baris. Etwas nördlich. Es gibt einen alten Weg, dem man durch den Dschungel nach Norden folgen kann, aber zumindest das Stück hierher ist in schlechtem Zustand. Wie es weiter nördlich aussieht weiß ich nicht, die Straße nach Westen ist zumindest etwas frei. Der folgen wir zumindest, aber da ist der Ärger praktisch vorherbestimmt. Mit dem Ärger auf dem Weg seid ihr durch den Dschungel oder Richtung Norden vermutlich schneller, egal wo ihr hinwollt.” Sie schnaubt. “Ihr könnt es euch ja noch überlegen, was euch besser in den Kram passt. Norden oder Westen. Wir könnten etwas Hilfe gut gebrauchen. Wo genau kommt ihr nochmal her?” Namra schüttelt schweigend den Kopf. “Na gut, na gut, ich hab schon verstanden. Aber afrikanische Verstärkung zu haben, wäre äußerst praktisch.” Skadi stürzt ihren Becher Wein herunter, gießt sich neu ein und lässt die Beine von der Tischplatte baumeln. Skadi zeigt ihnen einen Raum mit zwei Betten, vermutlich eine Unterkunft für Geißler, in der sie sich einquartieren können. Die erste Nacht ist wunderbar erholsam, aber die Anspannung beherrscht ihren Verstand. Am folgenden Tag füllen die beiden ihre Vorräte auf und meiden die anderen Sklaven, sie haben ein ungutes Gefühl. Skadi rät ihnen ebenfalls dazu, sie scheint das ganze ehrlich zu bedauern, redet auf die anderen ein, versucht zu vermitteln und zu beschwichtigen. Versucht ihnen klarzumachen, dass ein afrikanischer Verbündeter vieles einfacher machen würde. Die Stimmung ist angespannt. Rufin starrt sie immerzu an, auch andere halten inne, während sie allerlei Vorräte und Gerät auf einen alten Unimog hieven. Die Leichen der Geißler werden hinter dem Haus verbrannt, ohne Rituale. Namra scheint das mehr auszumachen als Mes, die auch weniger aggressiv angestarrt wird. Lieber nichts riskieren. Namra hält sich bedeckt, betont freundlich, wenn er jemandem über den Weg läuft. Zweiter Tag. Nachmittag. Es regnet - wieder einmal. Mes und Skadi sind im Inneren des Hauses. Die zwei verstehen sich gut, Namra hat das Gefühl, dass Skadis ungezwungene Art Mes mehr sie selbst sein lässt. Mes scheint nach den Ereignissen in Karnak wieder ganz die alte zu werden. Vor Namra tropft der Regen vom Dach, hängt wie ein Schleier zwischen ihm und der Realität. Er steht im Türrahmen, blickt hinaus auf den Hof mit den Blumenbeeten und Säulen. “Hey! Dermo! Komm her und hilf mir!” Ein kahlköpfiger, hagerer Mann steht auf der Ladefläche des Unimog, winkt Namra heran. Dieser nähert sich, zögerlich. “Die Kisten hier sind schief gestapelt, wenn wir alles rein bekommen wollen, dann muss das alles passen. Pack mal an, die zwei da heben wir an und drehen sie, dann rasten die Kanten aufeinander.” Namra nickt. Eine Gelegenheit, die Wogen zu glätten. Er zieht sich auf die Ladefläche, stellt sich neben die Kisten, auf die der Mann zeigt. “Die hier?” Der Kahle nickt. “Du gehst auf die, ich auf die andere Seite, dann heben wir gleichzeitig an.” - “Einverstanden” sagt Namra. Die metallenen Kisten haben sich tatsächlich verkantet. Ihre unteren Ränder sind extra so gestaltet, dass sie nahtlos stapelbar wären, aber jemand hat sie einfach achtlos aufeinander gestellt. Namra packt die untere der beiden schiefen Kisten links und rechts am Rand. Ein kurzer Ruck müsste genügen. “Und hoch!” kommt es gedämpft von der anderen Seite. Namra hebt die Kisten an und muss schnaufen. Schwerer, als sie aussehen. “Warte, da liegt was dazwischen. Halt fest!” - “Was? Nein! Nimm deine Finger da raus! Lange kann ich die nicht halten!” - “Habs… gleich..” Namra kann ihn unter die Kisten fingern hören, etwas rollt auf seine Seite. Seine Finger sind schwitzig, die Kiste droht zu rutschen. “Los, die Finger da raus! Sofort!” - “Einen Moment noch!” Namra fühlt, wie ihm die Kiste entgleitet, er muss nachgreifen. Schweiß und Regenwasser lassen die Finger auf der metallischen Oberfläche schwimmen. “Hab-” Mit einem Ruck rauscht die Kiste aus seinen Händen, kracht laut auf die anderen. Ein kreischender Schmerzensschrei hallt durch die Luft. “AAAAAhhhhh!” - der Kahle stolpert von den Kisten weg, gen Ende der Ladefläche, seine blutende Hand umklammert, von der nur noch der Daumen übrig scheint. Unförmiger, roter Matsch hängt dort herunter, wo vorher die Finger waren. Flüche und Schmerzenslaute in einer fremden Sprache kommen ihm über die Lippen. Namra eilt zu ihm, will sich seine Hand ansehen. Der Kahle stößt ihn mit schmerzverzerrtem Gesicht von sich. “Bleib weg von mir, afrikanisches Stück Scheiße!” “Heh, was ist denn hier los?!” Rufin und andere kommen angelaufen, stehen um das Ende der Ladefläche. Namra kann sehen, wie ihr Blick von der Hand des Kahlen zu ihm wandern und wieder zurück. Ihre Augen verraten bereits, welchen Reim sie sich darauf machen. “Nein, wartet, das war ein Unfall!” Namras Kehle ist trocken, er versucht die Situation zu entspannen, aber seine Worte scheinen alles nur noch schlimmer zu machen. “Iiiihr schwaaaaarzen Teufeeel kööönnt auch niiiiichts andeeerees, als aaaandereen Leiiid zuuufügen.. Ruunter von deeer Laaadeflääche! Sooofort!” Rufins Stimme bebt, die langezogenen Laute zittern ihm über die Zunge. “Schau dir nur an, was er mit Bogdan gemacht hat!” zischt eine der Umstehenden, eine Frau mittleren Alters, deren linkes Auge unter einem Bluterguss kaum zu erkennen ist. “Dieses verdammte Tier!” Namra hebt die Hände, kommt langsam von der Ladefläche herunter, zwingt seinen Atem zur Ruhe. Mit Rufin und dem Kahlen stehen mittlerweile noch fünf weitere um das hintere Ende des Unimogs. Jetzt keine falsche Bewegung. Mit gesenktem Blick schiebt er sich an Rufin vorbei. Demut. Sieben Schritte noch, dann wäre er aus ihrem Kreis heraus und stünde in der Tür zum Haus. Ein Tropfen fällt von seiner Braue, Regenwasser und Angstschweiß vermischen sich auf seiner Stirn. Plötzlich packt ihn eine Hand am Kragen, reißt ihn zurück. Namra wirbelt herum, stößt den schwachen Griff von sich. Das Blut rauscht in seinen Ohren, Adrenalin wälzt sich durch seine Adern, wie der gewaltige Nil durch sein Flussbett. Der Kahle namens Bogdan greift kreischend wieder nach ihm, wieder stößt Namra seine Hand von sich, versteht nicht, was dieser ihm mit schmerz- und hassverzerrtem Gesicht entgegen schreit, sieht aus den Augenwinkeln, wie Bewegung in die Anderen kommt. Eskalation. Von rechts rauscht ein blutbefleckter Spaten heran, zielt auf seine Eingeweide. Namra erkennt die Bewegung. Sein Magen zieht sich zusammen. Der Nabel zittert unter einer Welle. Nein! Nicht noch einmal! Ein Schritt rückwärts bringt ihn außer Reichweite der scharfen Kante. Stattdessen befindet er sich jetzt mitten in der Schlangengrube. Kein Ausweg. Namra ist ein in die Enge getriebenes Tier. Aber er ist kein Kind mehr. Die Luft riecht nach süßer Panik und Petrichor. Namra erkennt jede Pore in ihren hasserfüllten und aufgebrachten Gesichtern, jede zornige Falte. Jemand tritt ihm von hinten in die Kniekehle, schmutzige Hände packen seine Handgelenke. Wieder rauscht der Spaten heran, will ihm den Schädel spalten. Schwarze Nacht und stiller Schatten. (Quelle: Altes Degenesis-Forum) |